Deutsche Aktien seien nicht überbewertet, denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Deutschen Aktienindex läge mit aktuell rund 14 leicht unter seinem historischen Durchschnitt. So oder ähnlich lautet in diesen Tagen meist die Antwort auf die Frage, ob man sich denn Sorgen machen müsse, da die Aktienkurse schon so weit gestiegen sind. Wahlweise wird diese Aussage auch auf andere Aktienmärkte mit jeweils anderen Zahlen angewandt. Wirft man aber mal einen Blick zurück, erinnert sich der Eine oder Andere vielleicht daran, dass diese Einschätzung schon im Sommer 2013, also vor fast fünf Jahren, Konsens war, bevor der Deutsche Aktienindex (DAX) bis heute rund 55 Prozent zulegte. Aber auch 2008, also genau vor zehn Jahren, schwamm man mit dieser Einschätzung mit dem Schwarm mit, nur brach der DAX hier innerhalb von neun Monaten um satte 40 Prozent ein. Damit bleibt festzuhalten, dass der nüchterne Blick auf diese Kennzahl weder dabei geholfen hat, die Rally des DAX vom Sommer 2013 bis heute vorherzusehen, noch den Absturz des DAX von Sommer 2008 bis zum Frühjahr 2009.
Aber was sagt uns das? Bewertungen sind immer so lange günstig, so lange die Gewinnschätzungen ausreichend hoch sind. Anhand von Bewertungen lassen sich unmittelbar weder bevorstehende Hausse-Phasen noch Crashs ableiten. Entscheidend für die Prognose zukünftiger Kursentwicklungen sind vielmehr die Entwicklung der Unternehmensgewinne und die Markterwartungen eben dieser Gewinnentwicklungen. Nach einem durchschnittlichen Gewinnwachstum der DAX-Unternehmen von acht Prozent in 2017 liegt der Konsens nun bei einem Anstieg der Gewinne um elf Prozent im laufenden Jahr. Allerdings darf bei allem Optimismus nicht außer Acht gelassen werden, dass einerseits viele Unternehmen operativ bereits bei historischen Höchstmargen angelangt sind und andererseits der Euro-Anstieg in den vergangenen zwölf Monaten, steigende Rohstoffpreise und steigende Löhne die Profitabilität der Unternehmen belasten dürften. Damit sind zumindest Zweifel darüber angebracht, ob die Markterwartungen aktuell nicht etwas zu ambitioniert sind. US-amerikanische Unternehmen sind davon aktuell weniger betroffen, da Trumps Steuerreform die Gewinne der Unternehmen künstlich hebt.
Für die europäischen und insbesondere die deutschen Unternehmen aber läuft gerade der Lackmustest mit der Veröffentlichung ihrer Zahlen zum ersten Quartal und dem Ausblick auf das Gesamtjahr. Und hier ist als Zwischenfazit mindestens mal festzuhalten, dass allein der stärkere Euro seine Spuren in so mancher Unternehmensbilanz hinterlassen hat. So musste zum Beispiel der Lichtkonzern Osram seine Prognosen wegen der fortgesetzten Dollarschwäche, wie es hieß, um satte 20 Prozent nach unten schrauben. Dass daraufhin die Aktie ebenfalls um rund 20 Prozent einbrach, war sozusagen notwendig, um wieder eine „faire“ Bewertung herzustellen. Beim Industriekonzern Linde sah es nicht ganz so schlimm aus, aber auch hier waren die Währungseinflüsse deutlich zu spüren, wenn auch nicht das gesamte Gewinnplus aufgezehrt wurde wie von einigen erwartet. Drittes Beispiel ist Europas größter Gabelstapler- und Lagertechnikhersteller Kion. Zwar läuft das eigentliche Geschäft weiterhin gut, aber der heute stärkere Euro erschwert das Geldverdienen, die Aktie verlor nach den Aussichten ebenso zweistellig.
In den kommenden Tagen berichten nun Unternehmen wie BMW, Dürr und MTU. Und auch hier wäre es bei dem einen oder anderen keine Überraschung, wenn die Markterwartungen für das Jahr 2018 nach unten korrigiert würden. Nebenbei erwähnt dürfte es den Unternehmen aktuell sogar durch das Thema Handelskonflikt erleichtert werden, die Erwartungen nach unten zu „guiden“, wie es in der Fachsprache heißt, da es natürlich immer einfacher ist, sich auf externe Faktoren zu berufen.
Positiver Aspekt daran ist allerdings, dass diese Kursturbulenzen auch interessante Einstiegsgelegenheiten eröffnen können. Denn wenn die Kurse stärker fallen als die Gewinnerwartungen, werden auch die Bewertungen günstiger. Am Ende stimmt dann auch die Rechnung wieder. Auch die Bewertung des DAX könnte dann tatsächlich bei 14 und damit unter seinem historischen Durchschnitt liegen. Und die Antwort auf die Frage, ob man sich Sorgen machen müsse ob der hohen Bewertungen, wäre wieder „Nein“. Es ist nur wichtig, genauer hinzuschauen, in welche Unternehmen man investiert.